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Geleitwort zum Konzert am 3. Oktober 2004 in Olmütz

 

Den nachfolgenden Text hatte ich ungefähr im Kopf, als ich am Sonntag, den 3. Oktober 2004 kurz nach neunzehn Uhr, das Podium des Mozart-Saals der Mährischen Philharmonie in Olmütz betrat, um nach einer kurzen Vorbereitung und bar jeglicher schriftlicher Gedächtnisstützen das Geleitwort zu einem von mir zusammengestellten Abend der Musik und Poesie, veranstaltet unter dem Titel "Welchen Wein trank der Gott?", zu sprechen. Mein Gedächtnis konnte zum Glück diesen Text nicht in voller Länge abrufen, manche Passagen ließ ich sogar absichtlich aus. Ich wollte durch eine zu lange Einleitung das Publikum nicht ermüden. Ich habe den Eindruck, dass meine ungefähr fünfzehnminütige Rede die Zuhörer nicht nur nicht müde gemacht, sondern gut unterhalten und informiert haben könnte. Einige meiner Bekannten konnten dieses Konzert leider nicht besuchen und auch alle Musikerinnen und Musiker, die mir in den nachfolgenden achtzig Minuten durch ausgezeichnete Interpretationen meiner Kompositionen unvergessliche Momente lauterster Freude geschenkt haben, konnten meinen Vortrag nicht hören. Vielleicht bereitet ihnen allen meine Aufzeichnung des Geleitworts ebenfalls ein wenig Freude.

Guten Abend meine Damen und Herren, liebe Freunde, verehrte Gäste, ich bin Karel Řičánek und heiße Sie alle ganz herzlich willkommen. Ich will zu dem heutigen Konzert einige einleitende Sätze sagen. Nicht deshalb, weil ich die Veranstaltung aufhalten wollte, oder weil ich vorführen wollte, wie armselig heute, nach einem fünfunddreißigjährigen Auslandsaufenthalt, mein Tschechisch geworden ist. Ich möchte bloß ein wenig den Hintergrund des heutigen Abends ausleuchten.

Bevor ich aber damit anfange, will ich allen Sponsoren danken, die für den heutigen Abend Geld nicht nur versprochen, sondern schließlich auch ausbezahlt haben. (Es gab freilich auch andere!) Die Kunst zu unterstützen ist vielleicht die edelste Art des Umgangs mit Geld. Fast kein Künstler könnte aus eigenen Mitteln ein derart anspruchsvolles Programm finanzieren, deshalb möchte ich mich auch im Namen aller Mitwirkenden sehr herzlich bei all denjenigen bedanken, welche nach ihren Möglichkeiten dazu beigetragen haben, dass dieser Abend überhaupt stattfinden kann. -

Den ideellen Hintergrund des heutigen Abends kann ich vielleicht am besten so erklären, dass ich Ihnen zwei Geschichten aus meinem Leben erzählen werde. Die erste geschah im Frühling dieses Jahres in München. Ich hatte dort eine Verabredung mit einer hübschen jungen Frau, einem Mischling, dessen Mutter eine Engländerin und dessen Vater ein Malaysier ist. Teresa, so heißt die junge Frau, lebt in London und kommt zweimal im Jahr für einige Tage nach München, wo sie eine relativ zahlreiche Gemeinde von Schülern und Verehrern hat. Teresa ist von Beruf spirituelle Lehrerin und Hellseherin. Ich gestehe, dass es mich für gewöhnlich nicht besonders zu Hellseherinnen zieht. Ich verstehe meine Existenz als einen unaufhörlichen Prozess des Lernens, als einen Weg in das eigene Innere, als eine Wanderung zur Erkenntnis aller Art. Was mir auf diesem spannenden Weg begegnet, muss ich im Voraus keineswegs wissen. Ich begrüße alles mit gleicher Demut und Gelassenheit. Meine Lebensgefährtin fühlt sich freilich durch die Grenzgebiete unserer Wahrnehmung magisch angezogen und vereinbarte also selbst den Termin bei der Hellseherin. Dann hatte sie aber keine Zeit hinzugehen. Ich stimmte zu, mich an ihrer statt den Botschaften aus anderen Dimensionen zu stellen.

Eine sechzigminütige Sitzung bei Teresa ist nicht gerade billig, ich fuhr also zeitig von Zuhause weg, um keine kostbare Sekunde zu verschwenden. In der Stadt war ungewöhnlich wenig Verkehr, die Adresse der Verabredung fand ich auch ohne Probleme, so stand ich eine gute halbe Stunde vor dem vereinbarten Termin vor dem Haus. Ich sah mich in der Umgebung um: der Himmel war schwarz zugezogen und es blitzte bereits, für einen Spaziergang war das Wetter also nicht besonders geeignet. Ein Kaffeehaus war auch nicht in Sicht, aber gleich um die Ecke sah ich ein großes Antiquariat. Mein Herz machte einen Freudensprung: jedes Antiquariat ist für mich eine Schatzinsel, wo ich immer - auch ohne zerschnittene Matrosenkarten - kostbare Schätze finde. Und ebenso auch hier: Gleich am Eingang stand ein Tisch mit lange unverkauften Ladenhütern, ausgeschmückt mit einem Schild: "Jedes Buch 1 Euro!" Gleich der erste Band, den ich in die Hand nahm, war eine wahre Wucht. Es war eine wunderbar geschriebene Biographie eines berühmten amerikanischen jüdischen Schriftstellers, in der ich später lesen konnte, dass ihr Held sein ganzes Leben auf der ganzen Welt für sich eine ruhige Ecke suchte, in der er genauso glücklich sein könnte wie in den Zeiten seiner Kindheit. Diese Ecke fand er aber nicht und starb im verbitterten Elend einer großen Enttäuschung und Einsamkeit. Diese typische Inkarnation des Ewigen Juden, eines ahasverisch getriebenen Wanderers, war ein gewisser Herr Samuel Langhorne Clemens. Wir alle kennen mindestens zwei seiner vielen Bücher, die er unter dem Pseudonym Mark Twain verfasste.

Bei dem zweiten Band, den ich in die Hand nahm, freute ich mich fast noch mehr. Bereits auf dem Umschlag erkannte ich das Gesicht eines alten Bekannten. Es war ein Band mit Übersetzungen der Gedichte von Robinson Jeffers ins Deutsche. Es interessierte mich sehr, welche Gedichte Eva Hesse, eine der besten Übersetzerinnen der angloamerikanischen Literatur, aus dem umfangreichen Werk dieses Dichters, bei uns in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts durch die kongenialen Übersetzungen von Kamil Bednář sehr bekannt vor allem als Dichter der ewig-menschlichen Themen oder als Dichter der Naturschönheit, für ihre Jeffers-Präsentation der deutschen Literaturöffentlichkeit ausgewählt hatte. Ich fand in diesem 1987, also 25 Jahre nach dem Tod des Dichters veröffentlichten Band einen ziemlich anderen, nämlich politisch engagierten Jeffers vor. Eva Hesse schrieb anstelle des Nachworts einen umfangreichen Essay über das Leben des Dichters, in dem ich manche Neuigkeit über diesen außergewöhnlichen Künstler erfahren konnte.

Wenn wir ein Bild über das kulturelle Niveau des heutigen Amerika (damit meine ich die USA) bekommen wollten, dann könnten wir uns beispielsweise die Ergebnisse einer kürzlich durchgeführten repräsentativen Untersuchung ansehen. Fünfundsiebzig Prozent der erwachsenen Amerikaner haben keine Ahnung, wo der Irak liegt, gegen den George W. Bush unlängst Krieg führte. Sein größter Verbündeter in diesem Krieg war Tony Blair. Sechzig Prozent der erwachsenen Amerikaner versuchten vergeblich, England auf dem Globus zu finden. In einer solchen Gesellschaft sind Menschen wie Robinson Jeffers heute fast schon undenkbar.

Jeffers hatte einen strengen Vater, einen presbyterianischen Universitätsprofessor der Theologie, unter dessen Führung er bereits mit zehn Jahren fließend griechisch und lateinisch sprechen und schreiben konnte. Mit vierzehn wurde er von den Eltern nach Europa geschickt, wo er in verschiedenen, vorwiegend Schweizerischen Internaten Deutsch, Französisch und Italienisch lernte. Mit sechzehn, wieder zurück in Amerika, ging er auf die Universität, wo er zunächst Theologie, Philosophie und Philologie studierte, später dann zu Naturwissenschaften wechselte und Astronomie, Geologie, Medizin und Forstwirtschaft belegte. In allen Fächern soll er hervorragende Prüfungen abgelegt haben. Nach den Universitätsstudien lernte er Steinmetz und baute sich auf der menschenleeren kalifornischen Küste ein Haus in der Art der Pyramidenerbauer, völlig ohne Mörtel und Zement nämlich. Er war stolz darauf, die Granitblöcke derart bearbeiten zu können, dass sie sich ineinander genau und fest verbanden. In diesem Haus, neben dem er später auch seinen berühmten Falkenturm, wo sich sein karges Arbeitszimmer befand, auf gleiche Art baute, lebte er mit seiner Frau und zwei Söhnen mehr als vierzig Jahre lang in einer vollkommenen Askese.

In diesem Punkt fühle ich mich von Jeffers stark angezogen. Auch mich interessieren auf dieser Welt kein oberflächliches Glitzern mehr, keine Verführungen des Konsums. Auch ich versuche die Antworten auf die ewigen menschlichen Fragen zu finden. Auch mich fasziniert der ewige Wellenschlag des Ozeans mehr, als alle tagtäglichen, oberflächlichen medialen Sensationen zusammen. Ich hoffe, dass mir dieses Bekenntnis nicht als unangebrachte Eitelkeit ausgelegt wird! Ich habe freilich im Unterschied zu Jeffers den Eindruck, dass ich auf meinem Weg zur Erkenntnis nicht dringend auf alle Vorzüge der Kultur und Zivilisation verzichten muss.

Zwischen den zwei Weltkriegen machte sich Jeffers in amerikanischen Literaturkreisen einen beachtlichen Namen, wenn auch die Kritiker sein Desinteresse an aktuell diskutierten formalen Problemen etwas belächelten. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg jedoch erlaubte sich Jeffers etwas, was ihn die literarische Karriere kostete. Im Jahr 1948 veröffentlichte er ein Gedichtband, von dem sich sogar sein Verleger öffentlich distanzierte. In Amerika, immer noch durch den Sieg euphorisiert, schrieb er Sachen wie: "Der Krieg, egal ob gewonnen oder verloren, ist die größte Barbarei, die sich die Menschen je ausgedacht haben." Oder: "Politiker, die junge Männer in den Tod schicken und dabei behaupten, für das Vaterland zu fallen sei eine Heldentat, sind professionelle Lügner und Betrüger." Das Amerika im Jahre 1948 war ein Land am Anfang des beginnenden "Kalten Krieges". Es war ein Land des beginnenden Wütens des "Komitees zur Verfolgung der antiamerikanischen Elemente". Dieses Amerika machte mit Jeffers einen kurzen Prozess. Seine Bücher wurden vollständig aus den öffentlichen Bibliotheken entfernt und durften auch nicht mehr verkauft werden. Er selber wurde mit Veröffentlichungsverbot belegt. Obwohl die Gedanken und Gedichte dieses Dichters der antikriegerischen Argumente, der Negation des Konsumterrors, der Aufrufe zur Rettung der Natur heute sicher aktueller denn je sind, geriet er im Westen in völlige Vergessenheit. Niemand kennt ihn, nicht einmal die Englisch-Lehrer auf den Gymnasien, nicht einmal die europäischen Spezialisten für amerikanische Literatur. Jeffers verschwand einfach von der Erdoberfläche ...

Es ist sicher interessant, dass es für Norman Mailer keine Folgen hatte, als er im Jahre 1972, in seiner Biographie über Marilyn Monroe, ein ganzes Fass voll Sarkasmus über Amerika ergoss. Er schreibt darüber, dass es in der Tat ein unglaubliches Heldentum sei, wenn junge Männer nachts aus ihren unverwundbaren Jagdbombern Napalmbomben auf schlafende vietnamesische Mütter und ihre Babies werfen. Und er schreibt wortwörtlich (und an dieser Wahrheit hat sich bis heute nichts verändert!): "Wann immer Amerika in den Krieg zieht, dann immer in der festen Überzeugung, dem Willen Gottes näher zu sein als alle anderen Länder. Es ist der Stolz eines Unkrauts, welches sich für die einzig wahre Blume im Garten hält." 1972 war freilich die öffentliche Meinung in den Vereinigten Staaten von der Nachkriegseuphorie des Jahres 1948 weit entfernt.

Ich habe den Eindruck, dass Jeffers' Stimme in einer Welt, die aus der Geschichte nichts gelernt hat, nicht verschwinden darf. In einer Welt, in welcher der UNO für alle humanitären und kulturellen Hilfsaktionen eines Jahres soviel Geld zur Verfügung steht, wie bei dem Militärpakt NATO in eineinhalb Tagen ausgegeben wird! In einer Welt, in welcher die vier reichsten Personen mehr Geld in den Händen haben, als eine Milliarde der ärmsten. Diese Welt braucht in der Tat Jeffers. Ich möchte mit meinen bescheidenen Kräften versuchen, diesen Dichter dem Vergessen zu entreißen. -

Vielleicht kann ich noch erwähnen, wie meine Sitzung bei Teresa verlief. Zunächst sagte sie mir, dass sie um mich herum ganze Scharen von himmlischen Beratern und Schutzengeln sieht. Das musste ich für mich bestätigen, weil ich innerhalb der letzten drei Jahre zwei Situationen relativ unversehrt überlebt habe, in denen ich tatsächlich ganz knapp am Tod vorbei geschrammt bin. Das, was mir Frau Hellseherin mit sehr ernstem Gesichtsausdruck weiter erzählte, erheiterte mich zum Teil erheblich. Sie wisse von mir nur, dass ich ein Komponist sei. Sie sehe bei mir aber auch ein großes schriftstellerisches Talent und rate mir, über das Verfassen eines Buches ernsthaft nachzudenken. "Madame", antwortete ich lammfromm, "sollte Ihnen ein Umfang von knapp achthundert Seiten nicht zu nichtig sein, so habe ich vor Kurzem bereits ein Buch veröffentlicht." Danach richtete mir Teresa von meiner Oma aus, ich solle endlich heiraten. "Madame", antwortete ich lammfromm, "richten Sie, bitte, meiner geliebten Oma aus, dass ich diesem Ratschlag zum zweiten Mal kein Ohr schenken werde. Das riet sie mir sehr eindringlich bereits einmal, ich heiratete heute genau vor 24 Jahren am 3. Oktober 1980, und diese Ehe hielt nicht einmal zwei Jahre. Mit Andrea lebe ich bereits seit 22 Jahren ohne den Segen der Kirche oder des Standesamtes: warum sollte ich also heiraten?!" Dann richtete mir Teresa von meinem Opa aus, ich solle auf mein Geld gut aufpassen und es vernünftig anlegen. "Madame", antwortete ich lammfromm, "ich befolge gerne den Rat meines Großvaters. Denselben Rat gab er mir schon während seines Lebens immer wieder. Doch könnten Sie ihn fragen, welches Geld er denn meint? Ich habe nämlich keins!"

In diesem lustigen Stil ging es weiter, bis Teresa plötzlich sehr ernst wurde und sagte: "Ich sehe dich und deine Musik im Zentrum der Aufmerksamkeit der medialen Weltöffentlichkeit. Ich sehe dich umgeben von Fernsehkameras, Journalisten, Fotografen." Ich lachte laut und unterbrach sie fast unhöflich: "Hast du, bitte sehr, nichts Besseres auf Lager? Im Zentrum der medialen Aufmerksamkeit zu stehen ist wirklich das Letzte, was ich mir wünschen möchte!" "Du kannst aber nichts machen", antwortete Teresa ernst, "du wirst es erleben müssen, wenn ich das so klar sehe. In dem Zusammenhang sehe ich einen Menschen mit weißem Kittel, es ist wahrscheinlich ein Wissenschaftler, er hat in der Hand ein Reagenzglas und führt irgendwelche Messungen durch: er hat mit der medialen Berühmtheit deiner Musik etwas zu tun!" "Entschuldige, Teresa, aber diese Vorstellung ist für mich zu absurd und phantastisch. Ich würde gerne etwas womöglich Vernünftigeres ansprechen. Wenn sich hier schon eine solche Menge von himmlischen Beratern und Schutzengeln befindet, so würde ich gerne wissen, ob ich in meinem Leben auf dem richtigen Weg bin, oder ob ich in eine falsche Richtung marschiere und die Zeit vergeude." Teresa wurde noch ernster: "Diese Frage konntest du dir sparen. Wie du weißt, wurde sie bereits beantwortet, lange bevor du sie gestellt hast. Ich kenne wenige Menschen, die ihren himmlischen Beratern so nahe stehen wie du, der du, übrigens und völlig nebenbei, eine weitere in einer langen Kette von schamanischen Inkarnationen bist."

Ich fuhr nachdenklich nach Hause und wusste nicht so recht, was ich von Teresa halten soll. Ich als schamanische Inkarnation? In der Hanakei, der reichen Kornkammer Mährens, geboren und in München, der noch reicheren Schatzkammer Bayerns, lebend?! Tja, vielleicht ein Wirt, ein Bauer, ein Schnapsbrenner, ein Metzger, ein Bierkutscher! Das wäre bei den Umständen meines Lebens doch viel näher und verständlicher! Aber Schamane?? Und das mit dem Zentrum der medialen Weltöffentlichkeit? Mit einer derart dissonanten Musik, wie ich sie gerne schreibe? Wirklich nicht! Oh, liebe Teresa, habe ich vielleicht wieder einmal das Geld zum Fenster hinausgeworfen?

Meine Lebensgefährtin Andrea war da völlig anderer Ansicht. "Das ist doch völlig klar!", erklärte sie mir die ganze Botschaft. "Unser gemeinsamer Freund und Hausarzt befasst sich doch mit verschiedenen energetischen Phänomenen. Sein Hobby ist die Kirlian-Fotografie. Teresa wollte dir vielleicht sagen, dass er womöglich die heilende Wirkung deiner herrlichen Musik nachweisen kann! Und dann geht ihr mit den Ergebnissen ins Fernsehen und das ganze Projekt gerät wieder in Bewegung." Dazu muss ich sagen, dass ich vor drei Jahren ein spirituelles, tonales Oratorium für Solisten, Chor und Orchester geschrieben habe, dessen Musik zwar bereits aufgenommen wurde, doch die öffentliche Aufführung bislang aus verschiedenen Gründen nicht stattgefunden hat.

Unser Freund war von dem Vorschlag begeistert und er führte den Versuch durch. Ganz nach meiner Erwartung führte er jedoch zu nichts: bei einigen der Versuchspersonen kam es tatsächlich unter dem Einfluss meiner Musik zur Harmonisierung der Lichtstrahlung, die aus dem menschlichen Körper austritt (was die Kirlian-Fotografie durch Aufnahmen der Fingerspitzen dokumentiert), bei anderen, durch die Tagesmühsal stark ermüdeten Personen verschwand dieses Licht beinahe, weil sie während des Zuhörens eingeschlafen sind. Auf jeden Fall konnte man mit den Ergebnissen dieser Messung "medial" nichts anfangen.

Ein paar Wochen später, es war an einem Samstagnachmittag und ich war gerade damit beschäftigt, die Noten der einzelnen Instrumente für die heutige Premiere auszuschreiben, rief mich mein Freund im weißen Kittel an und fragte mich, ob ich ihn in seiner Praxis aufsuchen könnte. "Sicher kann ich das und sehr gerne sogar, wenn Du es wünschst", antwortete ich freundlich, "heute ist aber Samstag und fühle mich gerade nicht sonderlich krank!" "Wenn Du kannst, dann komm her! Ich würde Dir gerne jemanden vorstellen." Kaum war ich in der Praxis, wurde mir ein gewisser Herr, Senator Doktor Hans-Albert Courtial, vorgestellt. "Ich spielte meinem lieben Freund ein paar Stücke aus Deinem Oratorium, und es gefiel ihm ganz ausgezeichnet!", sagte mein Freund anstatt langer Einleitung. Ich wartete, was noch kommen würde. Gleich setzte er fort: "Das wäre selbstredend noch kein Grund, Dich hierher zu bitten. Ich habe jedoch den Eindruck, dass diese Begegnung für euch beide vielleicht wichtig sein könnte. Hans-Albert ist nämlich der Gründer und Direktor des Vatikanischen Musikfestivals und er wollte Dich persönlich fragen, ob er Dein Oratorium im Rahmen des zwar quantitativ kleinen, künstlerisch aber unglaublich hochwertigen Festivals in Rom aufführen lassen könnte." Nun ergriff der Senator das Wort: "Ich habe heuer neben den Wiener- und New-Yorker Philharmonikern für ein Konzert auch das Prager Sinfonieorchester FOK mit einem dreihundertköpfigen Chor aus Wien. Ihr Oratorium sehe ich in der Basilika des heiligen Georg, wo eintausend Zuhörer Platz haben. Ich würde gerne meine liebe Freundin Celine Dion fragen, ob sie die Titelrolle nicht übernehmen möchte. Man muss mit möglichst klingenden Namen der Solisten arbeiten, um sowohl das Publikum als auch die Medien anzulocken!"

Ich denke, dass ich nicht schreiben muss, wie ich mich fühlte. Aus heiterem Himmel schlug der Blitz direkt in mein unaufgeräumtes Arbeitszimmer! Beim Gedanken an Teresa liefen mir kalte Schauer den Rücken herunter ... Wo steht geschrieben, was passieren wird, dass sie es derart vollkommen ablesen kann? Der Senator unterbrach meine stumme Sekunde: "Hören Sie mal, das, was Sie hier geschrieben haben, das ist doch nicht moderne Musik?! Das hat doch eher etwas gemeinsam mit der frühromantischen Musik, nicht wahr?" "Sie haben selbstredend völlig Recht! Ich schreibe ja sonst hauptsächlich moderne Musik, ich sagte mir aber, dass ich mit Dissonanzen noch mehr Leute aus den schon recht leeren Kirchen vertreiben werde, als es die Lehre der Kirche bislang alleine besorgen konnte. Meine Absicht war es, die Menschen im Gegenteil in die Kirchen zu führen und sie dort zu verzaubern in demutsvollen Meditationen über Gott. Das wäre wohl mit avantgardistischer Musik kaum zu erreichen, meinen Sie nicht auch?" Der Senator gab mir lächelnd Recht und erzählte dann amüsiert, welche Geschichten er bei seinen Prag-Besuchen in Gesellschaft seines "kostbaren Freundes" und meines Lehrers Petr Eben erlebt hat.

Mein Oratorium wird heuer nicht aufgeführt werden können, aus verschiedenen, hauptsächlich technischen Gründen. Ich arrangierte und nahm diese Musik in bester Hollywood-Manier auf, mit erheblichem Einsatz von Synthesizern nämlich. Für eine Live-Aufführung in einer derart gigantischen Besetzung werde ich einiges umschreiben müssen. Außerdem muss Herr Senator eine Einwilligung seines Kuratoriums einholen, welches über das Festival-Repertoire entscheidet. Es gehört dazu neben einem berühmten italienischen Dirigenten noch der Organist von St. Peter leibhaftig. Mag es mit der Aufführung letztendlich ausgehen wie es will: Schon der Gedanke daran, dass sich eine derart einflussreiche und kompetente Persönlichkeit mit großer Begeisterung meiner Musik annehmen will, ist für mich eine unglaubliche Auszeichnung.

Und das ist vielleicht der Moment, in dem ich kurz noch meine zweite Geschichte erzählen sollte. Ungefähr vor eineinhalb Jahren, nach der Premiere meiner Komposition Die sieben Todsünden, die wir heute Abend auch hören werden, saßen wir in einem kleinen Freundeskreis im Restaurant des Nationalhauses in Prostějov und ließen den Abend langsam ausklingen. Es saß mit uns auch ein Herr Melka, seines Zeichens Hausmeister und gelegentlicher Tontechniker und Beleuchter im Vortragssaal, wo auch unser Konzert stattfand. Herr Melka trank sich ordentlich Mut an, legte dann seine Hand väterlich auf meine Schulter und sagte: "Karel, ich sag dir mal was. Du schreibst also wirklich geradezu fürchterliche Kakophonien!"

Für eine Polemik mit ihm war ich in dem Moment zu müde. Ich bestätigte seine Meinung lächelnd mit leichtem Kopfnicken und wechselte das Gesprächsthema. Bereits auf dem Heimweg fiel mir aber etwas ein, was ich dank meinen musikhistorischen Studien weiß. Im Jahr 1809 gab der ehrwürdige Direktor des Prager Konservatoriums, dessen Name ich leider vergaß, einen Erlass heraus, der gleich am Eingang der ruhmreichen Institution ausgehängt wurde. Es ward darin allen Schülern und Professoren unter Androhung des Ausschlusses von der Anstalt verboten, die Werke des wahnsinnigen Komponisten von Dissonanzen und Kakophonien, eines gewissen Ludwig van Beethoven, aufzuführen. Ungefähr ein Jahrhundert später verlangte die Wiener Musikkritik vom Polizeipräfekten einstimmig, er solle dafür Sorge tragen, dass der wahnsinnige Komponist von Dissonanzen und Kakophonien, ein gewisser Arnold Schönberg, endlich dorthin eingesperrt werde, wo er schon längst hineingehöre: in eine Irrenanstalt nämlich. O, freute ich mich plötzlich, wenn mich Herr Melka in einen Sack mit Beethoven und Schönberg wirft, dann ahnt er nicht, welch große Freude er mir damit bereitet!

Ich kann mir aber vorstellen, dass meine Musik für ungeübte Zuhörer doch ein wenig schwer verständlich sein kann. Geübt im bewussten Verfolgen der barocken Polyphonie lasse ich öfters mehrere Musikschichten gleichzeitig ablaufen und freue mich daran, wenn dadurch ungewöhnliche Klänge entstehen. Jede dieser Schichten hat ihre Logik, ja manchmal sogar Anmut und Schönheit, wenn aber drei oder vier solche Schichten gleichzeitig erklingen, kommt es selbstredend auch zu "Unwohlklängen". Das menschliche Ohr sowie das menschliche Gehirn sind es gewöhnt, sinnliche Informationen zu filtrieren. Wenn wir beispielsweise eine Violine spielen hören, filtrieren wir gewöhnlich das Geräusch, welches durch das Reiben der Bogenhaare auf den Saiten entsteht. Dieses Geräusch ist selbstredend im Ton der Violine enthalten, wir nehmen ihn aber nicht wahr. Dieses Filtrieren versuche ich beim Komponieren zu eliminieren. Ich gestatte sozusagen allen Schichten, die auf die Oberfläche der hörbaren Klangkonstruktion drängen, das Licht Gottes zu erblicken. Doch damit ich hörbar mache, dass die Musik, die ich schreibe, in ihren einzelnen Schichten wahrlich anmutig ist, schrieb ich, beinahe speziell für Herrn Melka, die Arietta für Violine solo, die wir heute ebenfalls hören werden. Falls von ihr jemand behaupten sollte, sie sei nicht anmutig, dann kann ich ihm auch nicht helfen! Wenn ich noch davon anfinge, dass ich in meinen Kompositionen zum Erschaffen der Motive oft musikalische Kryptogramme verwende, so geschehen beispielsweise bei dem heute zur Uraufführung anstehendem Epitaph für Robinson Jeffers oder in der im vorigen Jahr komponierten Serenade für sieben Soloinstrumente, so würden wir vermutlich bis Weihnachten dasitzen. Deshalb höre ich auf, bedanke mich für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit - und übergebe nun das Podium den Künstlern und den Künsten!

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