Geschrieben am 8.5.1999 für die Passauer Neue Presse
Vor mehr als dreißig Jahren ließ ich keine Gelegenheit aus, in dem bekanntesten und bis heute existierenden Prager Jazzklub "Reduta" die Konzerte der Gruppe "Celula" zu besuchen. Ihr Bandleader, der Trompeter Laco Deczi, besaß eine unglaubliche Spürnase für die Qualitäten anderer Musiker. In seiner Band spielte nur die Crème de la Crème der tschechischen Jazz-Szene. Er selber, der skurrile Slowake, erstaunte mich damals meistens durch sein Durchhaltevermögen im "Falschspielen". Er stand auf der Bühne, nahm die Umgebung anscheinend gar nicht wahr und war auf der Suche. Im konzentrierten Dialog mit seiner Trompete suchte er unaufhörlich einen goldenen Faden der schönsten melodischen Verbindung vorgegebener Akkorde. Oft lief die Suche an die Wand. Oft setzte er das Mundstück wütend ab. Eine Phrase kam nicht richtig. Der Faden riss. Laco ließ seine Misserfolge roh und gewalttätig in der Luft hängen. Melodiefetzen als blutige, schmerzliche Male seines Kampfes. Welch ein Unterschied zu Miles Davis! Miles unterliefen beim Spielen manchmal auch Fehler, er nahm sie aber sofort auf, wiederholte die "falschen" Noten, untersuchte beim Spielen ihr harmonisches und melodisches Potential und "rettete" sie dann meistens, in dem er sie durch eine neu entstandene melodische Wendung als gewollt, beabsichtigt und äußerst originell darstellte. Laco lehnte dieses nachträgliche Auspolieren ab - und er ruhte sich auch nie in der bequemen Hängematte einstudierter Läufe "aus zweiter Hand" aus. Er wollte immer nur seinen ureigenen goldenen Faden finden. Seine rigorose Haltung ohne den kleinsten Kompromiss brachte ihm schon damals, vor dreißig Jahren, einerseits einen unglaublichen Ruf und große Bewunderung seiner Zuhörer, andererseits aber auch viele abfällig bösartige, dummdreiste Bemerkungen einiger schwachsinniger "Kollegen" ein.
Ich war sehr gespannt, zu welchem Ergebnis seine nun seit drei Jahrzehnten ohne meine "Assistenz" andauernde, unerbittlich asketische Suche geführt hat, und wie sich seine Artikulationsfähigkeit, die in den letzten fünfzehn Jahren in New York, wohin Laco 1984 emigrierte, kultiviert wird, in dieser Zeit entwickelte. Das Konzert der "Celula New York", wie nun sein Ensemble heißt, das am 6. Mai im Baron-Keller zu Waldkirchen stattgefunden hatte, bot dazu eine ausgezeichnete Gelegenheit.
Ich kam, hörte und kann nun bezeugen: Die Beharrlichkeit trägt süße Früchte. Laco spielt wie ein Gott. Die immergrüne, kerngesunde und wohlschmeckende Ursuppe des Hard-Bop liefert ihm eine wohlig vertraute Umgebung, in der er sich nun traumwandlerisch sicher bewegt und scheinbar mühelos - auch wenn ihn beim Spielen die tiefe Konzentration und äußerste Anspannung keine Sekunde verlassen - einen "goldenen Faden" auf den anderen spinnt. Eine unglaubliche künstlerische Vollendung, eine Freude und Dankbarkeit, dabei sein gewesen zu dürfen.
Und übrigens - die untrügliche Spürnase für die Qualität seiner Bandmitglieder verließ Laco auch nicht: die drei jungen Amerikaner, die er dabei hatte, waren einfach in jeder Hinsicht exzellent und glänzten auch im Gespräch jeder auf seiner Weise: Der Bassist Bob Roe durch seine exotischen Deutschfragmente (er kann Teile des Librettos seiner Lieblingsoper, Alban Bergs "Wozzeck", auswendig aufsagen, ohne den Text recht zu verstehen); der Organist Bryan Charette durch seine Kenntnisse der deutschen romantischen Musik und sein schöpferisches Interesse für Mikrotonkomposition - und der phantastische Schlagzeuger Andrea Valentini durch sein geradliniges, schnörkelloses Anbandeln mit den deutschen "Frauleins".
Es war für alle Zuhörer sicher ein unvergesslicher Abend. Waldkirchen strahlte für einige Stunden am kühlen Nachthimmel als eine der Welthauptstädte des Jazz. Eine Glanztat des "Vereins der Jazzfreunde" und ihres Vorsitzenden, Dr. Eckhart Rössler, die "Celula New York" und Laco Deczi, diesen bescheidenen Großmeister der Jazztrompete, eingeladen zu haben. Persönlichkeiten dieses Formats werden weltweit langsam sehr, sehr rar...
Der tschechische Komponist Karel Řičánek, Autor dieses Beitrags, lebt seit 1969 in München.
|