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Kurzkommentare zu diversen Kompositionen

 

Im Frühjahr 1964, als das Eis der kommunistischen Diktatur in der Tschechoslowakei scheinbar zu schmelzen begann, wurden die Zügel der Zensur gelockert: man konnte sich sogar kleine öffentliche Späße erlauben. So war auch der Titel der damals entstandenen Reihe kleiner Klavierstücke eine Art Scherz und Wortspiel: die Religion war zwar offiziell nach wie vor verpönt, eine Komposition "An(n)dachten" zu nennen und auch öffentlich zu spielen war aber nicht mehr allzu gefährlich. Besorgte Genossen unter den Lehrkräften der Musikschule schlugen zwar einige unverfängliche Titelvarianten vor, jedoch ohne Erfolg: die siebzehnjährige Widmungsträgerin dieser Komposition hieß nämlich Anne ... Und mit einer stillen und innigen religiösen Empfindung haben diese Stückchen ohnehin wenig gemein: es ist eher eine zum Teil recht heidnische, weil fröhliche, lärmende und "schräge" Andacht! (Gleichzeitig aber auch eine wahrlich andächtige Verbeugung vor den damals durch die "Kulturfunktionäre" ebenfalls verpönten Komponisten Strawinsky, Honegger, Hindemith und Prokofjew.)

"Suite für zwei Hölzer" entstand in Prostějov während der Weihnachtsferien 1965. Im Prager "Studentenwohnheim" - einer alten Baubaracke - wohnte damals mit mir ein leidenschaftlicher Oboist, dessen anspruchsloses, sentimental triefendes Repertoire einiges zu wünschen übrig ließ. Die Uraufführung dieser lustigen Streiche erntete zwar bei dem Oboisten eher etwas Groll, bei den Mitbewohnern jedoch große Belustigung und lebhaften Beifall. Und der klarinetteblasende Verfasser bekam noch an Ort und Stelle einige - sogar bezahlte! - Kompositionsaufträge für das agile Studententheater ...

"Aphorismen" für Klavier ist eine 1982 zum sechzigsten Geburtstag des Vaters komponierte Reihe bunter kleiner Variationen, die sich als Arrangements-Fingerübungen quer durch einige Stilrichtungen seiner Komponisten- und Pianistenlieblinge bewegen: von Bach und Beethoven bis George Gershwin, Stan Kenton oder Oscar Peterson. Als Thema diente eine kleine Sarabande aus dem Jahr 1962 - damals auch ein Geburtstagsgeschenk und einer der ersten Kompositionsversuche überhaupt . . .

Der "Flohmarkt" sind drei kleine und vor allem für den Primo-Spieler recht einfache Stücke, komponiert während nächtlicher Spaziergänge im Sommer 1990 in schmunzelnder Erinnerung an die pianistische Tagesmühsal der kleinen Tochter und ihrer fast gleichaltrigen Cousine (der beiden "Klavierflöhe"). Der "Flohmarsch" soll eigentlich nur komisch, etwas zu dick aufgetragen und stolprig sein (wie ein Aufmarsch der "Stars" im Flohzirkus). Das "Flohlied" besingt das tränenreiche Leid (eines aufgeschlagenen Knies z.B.) und den (Mutter-)Trost, wie im richtigen Flohleben. Der Schwierigkeitsgrad der Stücke steigert sich allmählich und im abschließenden Rondo der "Flohjagd" dürfen selbst gute Pianisten etwas besser "hingucken" und nicht zu wild um sich schlagen!

Die ersten zwei Sätze der "Sonate für Violoncello solo" entstanden innerhalb von nur zwei Tagen im Dezember 1991. Die Sonatenform des ersten Satzes folgt cum grano salis dem klassischen Bauplan, wobei die tonalen Zusammenhänge sehr gelockert sind. Dem "männlich markanten", resoluten Hauptthema in c-moll folgt ein leidenschaftliches, frauliches e-moll-Thema; die Durchführung, "atonal" notiert, oszilliert in einer Art Ostinato um den Ton "D". Die Reprise wiederholt - als themenimmanente Eigenschaften unverändert - die Tonarten der Exposition. Dem meditativen zweiten Satz in einfacher, dreiteiliger Liedform folgt ein (im Oktober 1995 fertigkomponier-tes) Rondo mit einer virtuosen Schlusskadenz.

Die 1993 entstandene "Meditation" für große Kirchenorgel setzt sich - dem Naturell dieser Königin der Instrumente entsprechend - mit tiefsten existentiellen Fragen und ihren gegenseitigen Wechselwirkungen auseinander. Das demütige Staunen über das undurchschaubare Geheimnis der Schöpfung, leise Ironie über die unaufhörliche Geschäftigkeit der menschlichen Ameisen und die schaudernde Ansicht der eisigen Tiefen des Alls werden nebeneinander gestellt; der Blick streift wieder zurück, die Menschen mühen sich immer noch ab, blind und emsig, und der allmächtige Schöpfer zeigt in einer gewaltigen Klangkumulation der Schlusspassacaglia einen Bruchteil seiner Herrlichkeit.

Die im Jahre 1994 entstandenen "Drei Stücke für Flöte und Gitarre" sind für das italienische Duo Salvatore Lombardi und Piero Viti geschrieben worden. Inspiriert durch den - im Normalfall - ruhigen und aggressionsfreien Klang dieser Instrumente wurden zarte Auseinandersetzungen mit diversen musikalischen Phänomenen geschaffen: Auflösung der Motorik im Rahmen eines metrischen Stereotyps (Quasi una fantasia); Strukturverschiebung als Formelement (Quasi una marcia); moderne Kantilene (Quasi una canzone). Eine Herausforderung vor allem für alle angehenden Konzertgitarristen.

"Vier Stücke für Horn und Klavier" (1994) könnten als vier verschiedene Stadien einer Auseinandersetzung zweier abstrahierter, an Franz Kafka erinnernder Gestalten beschrieben werden. Auf dem formalen Grundriss der alten Sonata da chiesa (langsam-schnell-langsam-schnell) gehen die "Momentaufnahmen" vom anfänglichen Aneinandervorbeireden, über gegenseitiges Gespött, Trauer über gegenseitig zugefügtes Unheil, bis zum energischen Aufbruch zur Eintrachtsuche. Die Charakteristik dieser "Gestalten" steht im Vordergrund der technisch relativ einfachen Stücke, welche von Waldhorn, Tenor- oder Flügelhorn gut spielbar sind.

"Cantus belli" entstand im Frühjahr 1995 sehr spontan, innerhalb weniger Stunden, unter dem unmittelba-ren Eindruck einer Fernsehreportage über das erbärmliche Vegetieren alter Frauen in der zerbombten tschetschenischen Hauptstadt Grosny. Diese Sendung war so etwas wie ein Katalysator, der das jahrelange Entsetzen über die Kriege in Osteuropa (die absolute Negation jeglicher Kommunikation) sowie das tiefe Mitleid mit ihren unschuldigen Opfern musikalisch zum Ausdruck brachte. Der Titel wurde übrigens erst der fertigen, in weiten Teilen polyphonen Komposition "zugefügt", da sich die Behandlung des Hauptthemas auf alte kontrapunktische Praktiken ("Cantus firmus") bezieht und stützt.

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